Ostberlin in der Wendezeit

Am 10. März 1985 starb der sowjetische Staats- und Parteichef Konstantin Tschernenko nach schwerer Krankheit in Moskau. Am folgenden Tag wählt das Zentralkomitee der KPdSU den ZK-Sekretär Michail Gorbatschow zum neuen Generalsekretär. Die Perestroika konnte beginnen. Mein Vater meinte, er hätte an diesem 11. März etwas besonderes erlebt, weil das Gebäude, in dem er in Eschweiler arbeitete, wegen eines Großbrandes bei Wenzel und Weidmann, einem benachbarten Ölhändler, geräumt werden mußte und wohl brennendes Öl die Straßen runterlief und ein riesiger Sachschaden entstand. Da hatte er natürlich Recht.

Ich hatte aber auch was erlebt, denn ich war in Ostberlin, als die Nachricht vom Ableben Tschernenkos bekannt wurde (bloß mir zunächst nicht). Ich wunderte mich allerdings über die vielen Personen Unter den Linden, als ich meinen Mindestumtausch in der Akademischen Buchhandlung verprassen wollte. Ich erwarb ein Buch über die Geschichtswissenschaft in der BRD, das "Unbewältigte Vergangenheit" hieß. Als ich bezahlt hatte, war vor der benachbarten sowjetischen Botschaft schon so ein Gedränge, daß man auch die Buchhandlung kaum noch verlassen konnte. Immerhin erfuhr ich nun den Anlaß des Treibens. Mit dem über meinem Kopf erhobenen Buch bahnte ich mir einen Weg durch die Menge, aus der dabei jemand sagte: "Unbewältigte Vergangenheit - das ist ja passend."


Nach der Wende in der DDR zog es mich mehrmals an den Ort des historischen Geschehens, schließlich habe ich Geschichte studiert und war damals Referendar auch für dieses Fach. Am Morgen nach der Maueröffnung ist es mir sogar gelungen, im (nun Becker-Europa-Radio meines Mercedes W 123) den RIAS auf Kurzwelle zu empfangen. Leider habe ich wenig verdient und konnte mich nicht beliebig absetzen. Aber im Dezember 1989 war ich in Ostberlin und zu Karneval und Ostern 1990 und nach meinem II. Staatsexamen im Juni 1990 erneut.

Mir war klar, daß nun in der DDR vieles weggeworfen würde, was in einigen Jahren Zeitdokument sein würde. Nach dem Mottto "Jedem das seine, mir das meiste" wollte ich davon soviel wie möglich für mich sichern. Dazu hätte ich ganz viel Geld und Zeit gebraucht. Beides fehlte mir, aber ich habe mich bemüht, das Beste draus zu machen.

DDR-Stempel in meinem Reisepaß Das Gebäude des ZK der SED ohne Parteisymbol

Im Dezember 1989 habe in Ostberlin beim Dietz-Verlag, dem Parteiverlag der SED, vorgesprochen und gefragt, ob man noch Bücher habe, die nun unverkäuflich geworden seinen. Ich sprach mit einer Frau Lange, die bis zu meinem nächsten Besuch einiges raussuchen und für mich weglegen wollte. Sie erzählte, für sie seien die Wahlen im Westen immer spannend gewesen, vor allem die Hochrechnungen. Ich erklärte ihr Konfidenzintervall und Signifikanzniveau.

Auch beim Staatsverlag, beim Militärverlag und beim Verlag für Agitation und Anschauungsmaterial habe ich meine Bibliothek aufstocken können.

Ich habe stets einige Sekundärrohstoffannahmestellen besucht und eingesammelt, was den Ossis nichts mehr wert war, z.B. Blanko-Urkunden und Formulare, Zeitschriften und Bücher. Das wurde eine arge Belastungsprobe für den Mercedes, zumal er zu kleine Reifen hatte, was aber erst bei der nächsten Hauptuntersuchung herauskam, ich hatte nichts bemerkt. Außerdem war der Kofferraum kleiner als beim Vorgänger.

sichergestellte Sekundärrohstoffe

Rosenmontag 1990 hatte ich schon beim Dietz-Verlag Reden und Interviews von DDR-Größen geschenkt bekommen und dann in der Nähe des Palastes der Republik geparkt.

ehemaliges Gebäude des Dietz-Verlages in der Wallstraße im Bezirk Mitte (6.8.1996)

Dann bin ich zum Haus der Jugend (früher Zentralrat der FDJ) Unter den Linden gegangen und habe dort auf den Fluren eingesammelt, was mich interessierte. Dann habe ich es in einen Raum neben dem Pförtner geschleppt und schließlich meinen 200 D geholt und auf dem Bürgersteig direkt an der Hauswand geparkt. Als ich die ersten Fundstücke einladen wollte, bildete sich schon eine Gruppe, die noch anwuchs. Die Verwunderung über einen scheinbar reichen Bundesbürger, der Honecker-Reden im Kofferraum hatte und noch mehr Agitationsmaterial einlud, war groß. Ein DDR-Bürger sprach mich an und wollte Räume in dem Gebäude von mir mieten! Außerdem schwärmte er von der kommenden Einheit. Ich meinte nur, ich könne auch auf Bayern verzichten. Irgendwie habe ich damals alle in mich gesetzten Erwartungen enttäuscht. Das kommt in meinem Leben gelegentlich vor.

Garantieschein einer Quartzuhr, die offenbar von der FDJ 1984 für ein Treffen besorgt worden war. Die Uhr habe ich nicht gefunden.

Meine so entstandene DDR-Sammlung habe ich aber inzwischen nach Heinsberg ausgelagert, weil es in meiner Wohnung zu eng ist. Die muß ich erst zurückholen zum einscannen. Deshalb kann ich hier noch nicht viel zeigen. Dieses Gedenktafel hätte ich auch gerne gesichert. Plötzlich war sie weg:

(verschwundene) Gedenktafel an der ehemaligen Bibliothek (Kommode) 1990 und 1996

In der Humboldt-Universität war ich mehrmals, mal habe ich nur nach Dokumenten der Wende gesucht, mal eine Ausstellung über die Archäologische Abteilung (Winkelmann) besucht.

Das Treppenhaus im Hauptgebäude der Humboldtuniversität 1990.

In der HU habe ich 1992 eine Diskussion mit Gregor Gysi, Oskar Negt, Ernest Mandel u.a. über "75 Jahre Oktoberrevolution" besucht. Bei letzterer Gelegenheit bekam ich übrigens ein Autogramm von Gregor Gysi in ein Buch von Stefan Heym, das Heym mir am gleichen Tag in der Westberliner Akademie der Künste signiert hatte.

 

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